Serie „Tokyo Vice“: Vielleicht zu gut, um wahr zu sein (2024)

Einen motivierteren Grünschnabel hat man selten gesehen. „Dieser Test ist auf Japanisch“, betont die Frau bei der Anmeldung zur Prüfung, die Jake Adelsteins (Ansel Elgort) Leben verändern soll. Rund um die Uhr hat der junge Amerikaner sich darauf vorbereitet, Sprache und Schrift gepaukt, sich Wissen über Politik und Wirtschaft des Landes draufgeschafft. Die Anrufe zu Hause fallen spärlich aus, seit drei Jahren war er nicht mehr bei seiner Familie. All das, um sich seinen Traum zu erfüllen: Reporter werden bei der auflagenstärksten Zeitung der Welt.

Warum, das bleibt die spannende Frage. „Jeden Tag wird das Wissen der Welt ein bisschen größer. Das Zeugnis dafür ist die Zeitung“, erklärte ihm sein Vater, ein Gerichtsmediziner, als Kind.

Ein Gaijin schreibt über Tokyo

Als erster Ausländer aus dem Westen – Gaijin, wie die Japaner ihn nennenbeziehungsweise schimpfen –bekommt Jake Anfang der 90er-Jahre tatsächlich die Stelle und beginnt als Polizeireporter. Er lernt schnell, dass Lehrjahre in Japan nicht nur keine Herrenjahre, sondern oft auch reine Schikane sind. Die Frischlinge müssen bis in die Nacht Kaffee bringen und Aschenbecher leeren, werden beim kleinsten Versäumnis vor versammelter Mannschaft zusammengeschrien und können sich glücklich schätzen, wenn mal ein paar Sätze von ihnen im Blatt erscheinen. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei folgt einer klaren Regel: Es wird nur geschrieben, was im offiziellen Bericht steht. Wenn ein Mensch auf offener Straße von einem Samuraischwert durchbohrt wird, darf das noch lange nicht „Mord“ genannt werden – eine Dummheit, die Jake beinahe mit seinem Job bezahlen muss.

Trotzdem will ausgerechnet dieser bunte Welpe, der all seine Kollegen körperlich überragt, in die Unterwelt Tokyos eintauchen; wissen, wie diese Stadt funktioniert, in der jede Information ihren Preis hat – sei es ein Bier, eine Honigmelone oder ein Menschenleben. Und es gelingt ihm tatsächlich, vielleicht gerade weil er ein Außenseiter ist, der weniger als seine japanischen Kollegen um das Ansehen und die Sicherheit seiner Familie fürchten muss.

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Jake Adelstein gibt es wirklich. Sein Buch „Tokyo Vice: Eine gefährliche Reise durch die japanische Unterwelt“ wurde international viel beachtet, darin beschreibt er seine Abenteuer in der Redaktion von Yomiuri Shinbun, wo er von 1993 bis 2005 arbeitete. Es machte ihn schlagartig zum Idol für Investigativreporter auf der ganzen Welt.

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Kung Fu, Sex und Undercover-Einsätze werden angezweifelt

Nachdem „Tokyo Vice“ im April in den USA ausgestrahlt wurde, ließ eine Recherche des Branchenmagazins The Hollywood Reporter allerdings Zweifel an diesem Bild aufkommen. Im Interview hatte sich Adelstein in Widersprüche verstrickt, und auch ehemalige Kollegen meldeten Bedenken an seinen Geschichten an. Die Memoiren bestachen nicht unbedingt durch Bescheidenheit; unter anderem beschrieb Adelstein, wie er andere Journalisten bei Weihnachtsfeiern mit Kung Fu aufs Parkett gelegt hatte und behauptete, diverse Informantinnen hätten nur im Gegenzug für sexuelle Dienstleistungen mit ihm sprechen wollen. Daran und auch an Adelsteins Aussage, undercover im Einsatz gewesen zu sein, sei nichts dran, behauptete ein Begleiter erster Stunde, der auch in der Serie vorkommt. Adelstein bekräftigte seine Geschichte anschließend wiederum: Alles, was er geschrieben habe, sei ausnahmslos wahr.

Für Michael Mann („Heat“), der als ausführender Produzent mitgewirkt und die erste Folge inszeniert hat, war die Frage nach der Wahrheit allerdings keine zentrale. Und auch die Zuschauer können sie guten Gewissens außer Acht lassen, denn die Hauptkonflikte rund um die Machenschaften der Yakuza und ihrer Zusammenarbeit mit der Polizei stehen nicht im Verdacht, erfunden zu sein. Dass ein Protagonist ein bisschen mutiger, spleeniger und auch charmanter ausfällt als sein reales Vorbild, ist in Adaptionen freilich gängige Praxis – egal, ob die Nacherzählung nun von diesem selbst oder einem Außenstehenden stammt.

Jake zuzuschauen bei seiner Reise durch sowohl die alltäglichen als auch die mafiösen Abgründe einer Metropole, in der so viel geraucht wie geatmet wird, mit ihren ganz eigenen Regeln, die man als Mensch aus dem Westen nie ganz verstehen wird, ist durch und durch faszinierend. Besonders die erste Folge entfaltet durch Manns Inszenierung, die reich an szenischen Details und arm an Dialogen ist, einen Sog, der wettmacht, dass sich die Dramaturgie anschließend mitunter verzettelt.

Wertung: 4 von 5 Punkten

Tokyo Vice, Serie, 8 Folgen, ab 15. Mai bei Starzplay

Serie „Tokyo Vice“: Vielleicht zu gut, um wahr zu sein (2024)
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